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An einem Samstag im September

25. September 2017

Der Wecker klingelt um 6:10 Uhr. Also quasi mitten in der Nacht. Draussen ist es dunkel, die Strasse ist nass und das durch die vobeifahrenden Autos verursachte Rauschen bestaerkt das Gefuehl, doch eigentlich unter der wohlig-warmen Decke liegen bleiben zu wollen. Aber nein, es gab ja das Versprechen, puenktlich zu sein; also schnell aufgestanden und unter die ebenfalls warme Dusche gehuepft. Eine schnelle Tasse Kaffee, eine Scheibe Toast einschliesslich schnellem Ueberfliegen der Deckseite der Tageszeitung. Mehr ist nicht drin. Ein Brot wird geschmiert und in Alufolie gewickelt, ehe es in der bereits gepackten Tasche verschwindet.

Ebenfalls bereits bepackt steht der Bulli im Hof. In seinem Bauch: Viele Kisten mit zuvor ausgesuchten Flohmarktsachen, ein Plattenspieler, ein paar Lautsprecher, Schallplatten, sowie Damenpullover, Taschen und Schuhe von der verstorbenen Mama. Der alte Diesel springt schnell an, denn er hatte zuvor eine neue Autobatterie bekommen, nachdem die alte zuvor die Segel gestreckt hatte und die ganze Aktion zu kippen drohte. Doch nun schnurrt er los und bewegt sich Richtung Innenstadt, die er hier gluecklicherweise noch vogelfrei befahren darf.

7:15 Uhr. Der Cousin wartet in seiner Einfahrt, neben ihm stehen Kisten und Lampen und ein Tapeziertisch. Alles das verschwindet ebenfalls im Bauch des gefraessigen VW-Transporters und weiter geht’s Richtung Fussballstadion, auf dessen Parkplatz an diesem unerwartet unwirtlichen Morgen ein Flohmarkt stattfinden soll.

Der Standplatz ist schnell gefunden und Dank der hervorragenden Organisation der Ausrichtenden gleich in Beschlag genommen. Ein weiterer Bekannter kommt mit seinem Bollerwagen um die Ecke. Er wohnt in der Nachbarschaft des Stadions und gesellt sich zu uns. Nach kurzer Zeit steht der Stand, der den Bulli umschliesst. Der Spass kann beginnen.

Um uns herum herrscht reges Treiben. Autos manoevrieren teils gekonnt, teils ungeschickt hin und her, Kisten werden ausgeladen und weitere Staende fuellen nach und nach die Flohmarktpromenade. Die ersten Seh-Leute (das sind die, die nur gucken und nicht kaufen) schauen den Aufbauenden neugierig zu. Doch auch erste Kaufleute lassen sich blicken und schwupps wechselt das erste Teil für einen Euro den Besitzer.

Acht Uhr. Das Wetter meint es nicht wirklich gut, ab und zu stippelt etwas Regen herab und veranlasst mich dazu, zumindest die technischen Geraete zu schuetzen, so dass sie zeitweise unter dem Tisch verschwinden. Das Wetter ist irgendwie "nicht Fleisch – nicht Fisch" und entscheidet sich leider nicht zum fruehen Verdraengen der Wolken zugunsten der Sonne. Das sollte Folgen haben.

Viele Staende und relativ wenig Kundschaft. So der Eindruck. Doch ist es noch frueh und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ab ca. zehn Uhr geht es dann auch ganz gut voran. Ein kleines Frauengrueppchen draengt sich um die Pullover, zuppelt hier und da daran herum, es wird gefachsimpelt und angehalten. Letztendlicher Verdienst: Zwei Euro fuer einen Pullover.

Eine Gruppe Russen (ja, das Klischee lebt…) kommt heran und sieht einen Tragekorb, der sechs Flaschen Sekt beinhaltet. Dieser ist sehr wahrscheinlich schon "gut abgehangen", vielleicht aber auch noch gut. Man(n) weiss es nicht. Es wird laut (aber aufgrund der Sprachbarriere fuer uns nicht nachvollziehbar) anscheinend gefachsimpelt und letztendlich wechseln Korb und Inhalt fuer fuenf Euro den Standort. Na denn, Prost!

Ein dunkelhaeutiger, sehr schlecht Deutsch sprechender Mensch steht vor dem Stand und fragt nach dem einfachen Samsung-Handy, waehrend sein kleines Kind auf dem Arm mit niedlichen, grossen Augen seinen Blicken folgt. "Ja, es ist so gut wie neu, wurde nur kurze Zeit benutzt – zehn Euro." Es ist ein ganz einfaches Handy, kein Smartphone. "It’s for him, not for me…". Anscheinend setzt er ploetzlich voraus, dass ich Englisch kann. Er kauft es und gibt es seinem Kind. "You like it?" – "Yesssss", toent es zurueck. Ich frage mich, ob ein vielleicht gerade mal dreijaehriges Kind ein Handy braucht. Vielleicht hat der Papi es als Spielzeug angesehen….

Zeit fuer die Wegzehrung. Butterbrot und Mineralwasser – man goennt sich ja sonst nichts. Mein Tischnachbar hadert mit sich und seinen Waren: Viele Dekoartikel aus dem elterlichen Wohnzimmer, einige Kleidungsstuecke der leider bereits verstorbenen Eltern, Vasen, Kerzenstaender, Untersetzer… – so richtig will sein Geschaeft nicht in Schwung kommen. Am Ende wird er nur wenig verdient haben, aber: Dabeisein ist alles!

Vom schraeg gegenueber liegenden, grossen Stand kommend, naehert sich eine etwas pummelige Frau, die eine Muetze begutachtet. "50 Cent", sage ich. "Kann ich kurz mitnehmen um meine Mann zu testen?" Sie deutet auf einen ebenfalls beleibteren Mann, der gegenueber gerade im Kundengespraech befindlich ist und eine Glatze aufweist. Ich grinse in mich hinein. Sie geht hinueber, setzt ihm die Kappe auf und laesst sie dann auch dort. Sie kommt zurueck, gibt mir 50 Cent, nicht ohne mir die Worte "Iiist etwas schmuuutzig, aaber wird paassennn" entgegegen zu schleudern. Naja, ein bisschen Staub vielleicht, aber die Definition von "Schmutz" ist bei mir anders angelegt.

Es geht weiter. Eine Frau kommt mit ihrem Kleinkind vorbei und entdeckt einen Klappzylinder, den ich kurz zuvor aus meinen Kisten ausgegraben hatte. Sie setzt ihn dem Kleinen auf und tatsaechlich sieht der damit so knuffig aus, dass die Mama den Hut am liebsten gleich mitnehmen moechte. Sie fragt nach dem Preis und ich gestehe, dass ich gar keine Ahnung von solchen Dingen habe, der Hut war ein Ueberraschungsfund. Sie entgegnet, auch nichts zu wissen und ich schlage ihr vor, den Preis zu nennen, den sie ausgeben wuerde. Wir waren schon bei vier Euro angelangt, als der Kleine seinen Unmut ueber die ungewollte Kopfbedeckung aeussert und seine Mama zum vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen noetigt. Ralf, der "Flohmarkt-Nachbar", merkt an, dass solche Klappzylinder, auch die kleinen wie dieser, manchmal recht wertvoll sein koennen. "Google ist dein Freund", denke ich mir, und tatsaechlich bringt die spontane Online-Recherche Gebrauchtpreise jenseits der 30 Euro fuer solche Teile zum Vorschein. Glueck gehabt.

Nach einer Weile kommmen Frau und Kind zurueck. Sie setzt ihm den Zylinder erneut auf und fragt: "Der ist doch wirklich toll, du siehst aus wie ein kleiner Zauberer. Das waere doch ein tolles Kostuem". Doch der Kleine bleibt bei seiner Meinung. Erneut komme ich mit der Mama ins Gespraech, erzaehle von der Recherche und sie meint: "Also hat sich der Preis geaendert?" Ich nicke, aber sie wirkt nicht beleidigt, sondern eher erleichtert. Ein vorbei schlenderndes, aelteres Ehepaar stutzt und bekundet, kuerzlich erst selbst so einen Zylinder gekauft zu haben, was mein Tischnachbar mit den Worten "Der Trend geht zum Zweitzylinder" zwar treffend und fuer allgemeine Erheiterung sorgend, aber trotzdem erfolglos kommentiert.

Die Schallplattensucher – eine mittlerweile wieder vertaerkt auftretende Spezies. Meistens sind sie alleine und kriegen erst dann den Mund auf, wenn sie eine interessante Platte entdeckt haben. "Wieviel nimmst du dafuer?", schallt es mir entgegen. Die wahrscheinlich erhoffte Antwort "Stueck 1 Euro" bleibt aus, denn "Heroes" von David Bowie oder eine Keith-Richards-Platte sind nunmal mehr wert. Trotzdem wechseln sie bald den Besitzer, fuer etwas mehr Geld immerhin.

Ploetzlich steht eine Dame daneben und wuselt durch die Singles. "Wow, "The House Of Love" mit "Shine On", die find' ich klasse.". Ich bin erstaunt, denn der Bekanntheitsgrad dieses Songs steht nicht gerade in Einklang mit der aeusseren Erscheinung der Dame, die ich rein subjektiv innerlich als passende Interessentin fuer die auch in dieser Kiste vorhandene Roy-Black-Single eingestuft hatte. "Jetzt finde ich es besonders schade, keinen Plattenspieler mehr zu haben", seufzt sie danach beilaeufig. Auch das ist Flohmarkt, das Wiederentdecken von Erinnerungen. Und die Freude daran.

"Du chast Laptop", sagt ein mittlerweile fast wie aus dem Nichts aufgetauchter, etwas gebueckt gehender Mann. "Ja", sage ich, "sehr gut erhalten". "Channst du drücken bei Google und siehst Fussball in Pay-TV (?)". Ich stelle mir die Frage, ob das eine Frage oder eine Feststellung sein soll. Letztendlich scheint er keine wirkliche Ahnung davon zu haben…

Mittlerweile ist die Mittagszeit angebrochen und es wird Zeit fuer eine Currywurst. Lecker. Sehr zu empfehlen. Die pummelige "Muetzen-Frau" von Fast-Gegenueber kommt wieder herueber und begutachtet die "Zu verschenken"-Kiste, die ich mittlerweile aufgestellt und befuellt hatte. Sie nimmt sich einige Dinge heraus und geht wortlos weg. "Bitteschoen!", rufe ich etwas provokant hinterher. "Dankeschoen" schallt es zurueck. Wenn auch arg gezwungen klingend. Mich wuerde es nicht wundern, wenn sie die Dinge an ihrem Stand zum Verkauf auslegen wuerde. Eine Ueberpruefung erspare ich mir.

14 Uhr. Das Ende ist nah. Es lohnt sich nicht mehr, denn obwohl Flohmaerkte normalerweise laenger laufen sollten und koennten, bauen die meisten Leute ihre Staende immer ungefaehr um diese Zeit ab. Auch ich merke den Ruecken und die Knie mittlerweile deutlichst und die Sehnsucht nach einem gemuetlichen Nachmittagsnickerchen im Anschluss an diese Tortur waechst. Eine Stunde spaeter wird der Wunsch in Erfuellung gehen. 180 Euro wurden verdient. Immerhin.

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