U2 – Licht am Horizont
"No Line On The Horizon" heisst das neue Werk der irischen Kultband U2. Ich bin zugegebenermassen voreingenommen, denn es ist nach wie vor meine Lieblingsband. Selbst alle "Zooropa" und "Pop"-Alben haben ihnen diesen Status nicht nehmen koennen. Das sind auch keine schlechten Platten, sie waren aus Sicht derjenigen, die "The Joshua Tree" fuer das bestes U2-Album aller Zeiten halten, lediglich in der falschen Zeit entstanden. Im Nachhinein kann aber gesagt werden, dass viele Elemente aus der U2-Experimentierphase Fruechte getragen haben, da unzaehlige Bands von diesen Stroemungen beeinflusst wurden…
"How To Dismantle An Atomic Bomb", das ab sofort zweitjuengste Album der Band, war dann im Jahre 2004 (Donnerwetter, ist das schon wieder 5 -in Worten- FUENF Jahre her?) aber wieder Balsam fuer diejenigen, fuer die die richtige U2-Zeit mit "Rattle and hum" (1989) vorerst endete.
Alles war wieder gut… …und dann kam die neue Single "Get on your boots".
Was war das? Oh nein, nicht schon wieder. Das waren die ersten Gedanken, die einem durch den Kopf schossen, nachdem das Lied erstmals im Radio gelaufen war. Es war im Auto, mitten im Stadtverkehr. Ablenkungsfaktor: hoch. Aber spaeter, daheim via Last.FM, wurde es zunaechst auch nicht besser…
Der Song wird allerdings besser, je oefter man ihn hoert. Trotzdem, es war kein guter Schachzug, ausgerechnet dieses Lied als Vorab-Single zu bringen, denn diejenigen, die daraufhin etwas komplett-Neues erwartet haben, werden vom Rest des Albums evtl. enttaeuscht oder gelangweilt sein
waehrend diejenigen, die auf ein "richtiges" U2-Album gehofft hatten, bis zum Release bangen mussten, ob dem auch wirklich so ist.
Gluecklicherweise ist es ein "richtiges" U2-Album geworden. These boots are not made for walkin' und somit kann der Song tatsaechlich als "Ausreisser" des Albums gewertet werden.
Gleich zu Beginn geht es in allerbester U2-Manier los. Der Titelsong des Albums kommt wuchtig daher, klingt manchmal etwas bemueht, geht aber gut durch. Das zweite Stueck "Magnificent" hat dann die "Boots" endgueltig vaporisiert. Ein Song, der auf den typischen Riffs von The Edge dahingleitet und mit Sicherheit einer der besten Songs des Albums ist, wenn nicht sogar der beste. 80er-Jahre-U2-Fans werden ihn lieben, die traditionellen Gegner wohl eher nicht :-)
Ein getragen gehaltener, brummeliger Bass charakterisiert "Moment of surrender" als drittes Stueck, waehrend Nr.4 ("Unknown Caller") den wohl U2-maessigsten Anfang der gesamten Platte bietet. Man meint tatsaechlich, den Song zu kennen, lediglich das gehaeufte "o-ho-hoo" laesst ihn manchmal ein wenig halbherzig erscheinen. Bei "I’ll Go Crazy" haben die Zerrelemente Hochkonjunktur und ansonsten eher passive Instumentalsequenzen, die am Rande der Uebersteuerung abgemischt sind, loesen sich in einem teilweise zuckersuessen Refrain auf, den Bono auf den Live-Konzerten sicherlich auskosten wird.
Als sechstes gehen die "Sexy Boots" ins Rennen – und bleiben vor dem erwarteten Ziel liegen.
"Stand Up Comedy" ist ein guter Song mit leicht ironischen Zuegen, der einen dominanten Riff mit hohem Wiedererkennungswert hat, aber hoechstwahrscheinlich doch ein typischer Album-Track bleiben wird. Der anschliessende, experimentelle Anfang von "FEZ – Being Born" lenkt zunaechst vom spaeteren Verlauf des Songs ab, aber nach ca. 1:35 Minuten sind wir dann zunaechst wieder im akustischen Zuhause angekommen. Auch dieser Song ist auf einem guten, hohen Niveau, doch zum Albumliebling wird’s wohl nicht reichen.
Bei "White As Snow", dem neunten Song, ist die Instrumentalisierung recht schlicht gehalten und Bono kann mal wieder den Storyteller spielen. Der Refrain beginnt toll, ergiesst sich dann aber leider auch wieder in einem "o-hoo-hooo". Da fehlt die lyrische Tiefe und somit ein potentieller Angriffspunkt fuer die Musik. Somit plaetschert das Lied ein wenig dahin, ohne wirklich zu langweilen oder gar zu schmerzen.
"Breathe" beginnt relativ amelodisch aber auch hier wird es bei den magischen 1:30 Minuten wieder sehr U2-typisch. Dies ist einer der Songs, die zum homogenen Gesamtbild des Albums beitragen. Und kaum ist man zu diesem Ergebnis gekommen, ist mit "Cedars Of Lebanon", dem elften und letzten Stueck des Albums, nach knapp 54 Minuten Gesamtspielzeit schon wieder alles vorbei. Ein netter Ausklang des Albums, man sieht Bono jetzt schon am Buehnenrand sitzen und das Lied untermalt von im Hintergrund projezierten Bewegtbildern interpretieren…
U2 experimentieren mal wieder, allerdings nicht so vordergruendig wie zu den Zeiten, die von den "Joshua Tree"-Liebhabern (wie ich wohl immer einer sein werde) oftmals mit Skepsis beaeugt wurden. Aber U2 zitieren sich diesmal auch wieder selbst. Das ist duchaus legitim, denn genuegend gutes Material war und ist da. Es ist gut, dass sie sich nach wie vor weiter entwickeln, mittlerweile dabei aber auch ihre Wurzeln nicht mehr vergessen. Solange sie es noch verstehen, jedem Teil der zumindest zweigeteilten Zielgruppe immer mal wieder auditiven Honig ums Maul zu schmieren, werden sie immer wieder gern gesehene Gaeste im heimischen Wohnzimmer sein. Hinter dem Horizont geht’s weiter…